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NEWSLETTER
26.02.2016
 

Newsletter zu den Abstimmungen vom 28. Februar 2016

Marc Bühlmann, Marlène Gerber und David Zumbach, Année Politique Suisse, Universität Bern

Chronik-ON zu den anstehenden Abstimmungen
Chronik-ON analysiert die Online-Medienberichterstattung zu Parteien und Politikern. In wöchentlichen Newslettern begleitete das Projekt die Wahlkampagnen 2015. Mit sporadischen Analysen zu relevanten politischen Ereignissen will Chronik-ON auch weiterhin eine interessierte Leserschaft bedienen. Im heutigen Newsletter analysieren wir die Berichterstattung zu den bevorstehenden Abstimmungen.

Volksinitiativen – Ventil oder Schwungrad

Die direkte Demokratie ist ein bedeutender Treiber der politischen Debatte in der Schweiz. Die bis zu vier Mal im Jahr durchgeführten eidgenössischen Abstimmungen führen zu medial mehr oder weniger breit aufbereiteten politischen Diskussionen um unterschiedlichste Themen. Aus einer demokratietheoretischen Perspektive kann dies sowohl positiv als auch negativ bewertet werden.

Eine Demokratie darf durchaus als lebendig bezeichnet werden, wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht nur alle vier Jahre zur Wahlurne gerufen werden, sondern sich mehrmals pro Jahr zu politischen Themen äussern dürfen. Dabei – das ist nicht nur eine theoretische Überlegung, sondern entspricht zumindest zum Teil auch der empirischen Realität – wird nicht nur häufiger politisch diskutiert, sondern auch das politische Interesse und die politische Kompetenz werden gesteigert. Kompetente Bürgerinnen und Bürger, die sich mit unterschiedlichen politischen Sachthemen kritisch auseinandersetzen, können als eigentliche Lebensader einer Demokratie betrachtet werden.

Freilich kann man der Abstimmungsdemokratie auch negative Seiten abgewinnen. Dabei ist nicht nur an die Selektivität der Partizipation zu denken. Die negative Bewertung bezieht sich ebenso auf die grundsätzliche Idee der Themensetzung: Wer bestimmt, über welche politischen Themen wie häufig und wie umfassend diskutiert wird? Diese Frage ist insbesondere bei der Institution der Volksinitiative von Bedeutung. Die Diskussion um die so genannte „Initiativenflut“ ist zwar – parallel zur seit Kurzem wieder abflachenden Kurve eingereichter Volksvorstösse – wieder abgeflaut, eine kürzlich erschienene Untersuchung von Lucas Leeman (eine Kurzversion findet sich hier) zeigt aber, dass es insbesondere politische Akteure sind, die Initiativen ergreifen. Das ist nicht grundsätzlich zu kritisieren, steht doch die Initiative allen – also auch in einer Partei organisierten – Bürgerinnen und Bürgern offen und sollen mit ihr Themen in die politische Arena getragen werden, die im Parlament weniger stark Beachtung finden. Das Bild der Initiative als Ventil wird hier häufig verwendet: Tabuthemen werden diskutiert und Reformen von unten angestossen.

Allerdings stellt sich hier nun die Frage, ob Parteien das direktdemokratische Instrument nicht vielleicht auch als Werbeplattform nutzen. Mit einer Initiative bringt man nicht nur sich selber, sondern auch seine eigenen Kernthemen ins Gespräch – und in die Medien. Hier ist die Initiative weniger Ventil als vielmehr Schwungrad zwecks Schärfung des eigenen Profils im härter werdenden Parteienwettbewerb.

Profitieren Parteien von eigenen Volksinitiativen?
Freilich ist es müssig, sich darüber zu streiten, ob das Thema einer Initiative nun von grosser gesellschaftlicher Relevanz ist und deshalb debattiert werden muss oder ob es einfach nur der Parteiwerbung dient. Interessant – und mit Chronik-ON zumindest beschreibbar – ist hingegen die Frage, welcher Partei es mit „ihrer“ Initiative am besten gelingt, Medienaufmerksamkeit zu erhalten. Wie bereits in einem vorgängigen Newsletter gezeigt, werden Parteien häufiger in von Chronik-ON analysierten Online-News genannt, wenn sie mit einer Volksinitiative aufwarten können.

Mit der am nächsten Wochenende anstehenden Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative (DSI) der SVP und der Initiative gegen die Heiratsstrafe (IHS) der CVP lassen sich interessante Beobachtungen machen. Die folgenden Abbildungen zeigen, wie sich die Anteile an Parteinennungen in den seit Ende August gesammelten Online-Artikeln zur DSI (Abbildung 1) bzw. IHS (Abbildung 2) veränderten.


Abbildung 1: Die Parteien und die Durchsetzungsinitiative (DSI) in den Online-Medien


Bemerkungen: Untersuchungszeitraum: 31.8.2015-26.2.2016; 82 Schweizer Online-Medien; 4225 Artikel mit
7084 Parteinennungen. Die Wochen 36-41 wurden aufgrund der geringen Anzahl Artikel (Parteinennungen<200) nicht abgebildet.    


Wenig erstaunlich zeigt sich in unseren Analysen, dass die beiden Initianten jeweils am häufigsten genannt werden, wenn ihre Initiative Gegenstand der Berichterstattung ist. Mit anderen Worten: Etwas weniger als die Hälfte aller zwischen dem 31. August 2015 und dem 26. Februar 2016 in Online-Artikeln zur DSI registrierten Parteinennungen entfallen auf die SVP (47.6%), während die CVP an diesem Stichtag ebenfalls den grössten Anteil an Nennungen zusammen mit der HSI aufweist (32.7%). In beiden Fällen vergrösserten die Parteien über die Wochen hinweg ihre Anteile.

Interessant ist allerdings der relativ grosse Unterschied zwischen den beiden Initianten. Wird der SVP bei der DSI mit diesen 47.6% sozusagen die Hoheit über ihre Initiative zugeschrieben, so scheint die IHS für die CVP nicht derart stark ein Alleinstellungsmerkmal zu sein. Die onlinemediale Berichterstattung zur DSI scheint also mit anderen Worten sehr stark mit der SVP alleine verknüpft, während die CVP hier weniger stark zu profitieren scheint. Anzumerken ist, dass in etlichen Artikeln alle Parteien zusammen erwähnt werden – dies lässt den hohen Anteil der SVP bei der Berichterstattung zur DSI allerdings als noch erstaunlicher erscheinen.


Abbildung 2: Die Parteien und die Initiative gegen die Heiratsstrafe (IHS) in den Online-Medien


Bemerkungen: Untersuchungszeitraum: 31.8.2015-26.2.2016; 82 Schweizer Online-Medien; 701 Artikel mit
1851 Parteinennungen. Die Wochen 36-41 wurden aufgrund der geringen Anzahl Artikel (Parteinennungen<300) nicht abgebildet.


Bedeutet dies, dass die DSI für die SVP in den Online-Medien ein gut geöltes Schwungrad darstellt, mit deren Hilfe die Volkspartei ihr Kernthema weiter bearbeitet und damit an Profil gewinnt? Oder lassen sich diese Zahlen auf den in der jüngeren Geschichte der direkten Demokratie doch recht einzigartigen Umstand zurückführen, dass die SVP scheinbar alleine nicht primär gegen andere Parteien, sondern gegen zahlreiche gesellschaftspolitische Akteure anzutreten hat und deshalb andere Parteien eher weniger häufig erwähnt werden? Eine Antwort auf diese Frage bleibt hier offen.

Interessante Beobachtungen lassen auch die Entwicklungen über die Zeit zu. So ist etwa bei der DSI ab letztem Dezember ein Anstieg am Anteil Nennungen bei der FDP zu erkennen. In der Tat zeigte sich der Freisinn in einigen Aktionen als aktivster Parteigegner des SVP-Anliegens. Dies scheint sich – so legen unsere Zahlen nahe – auch in der Online-Medienberichterstattung niederzuschlagen, wo der Anteil der Nennung der FDP in Zusammenhang mit der DSI seit Anfang Jahr zunimmt.

Ähnliches – wenn auch in geringerem Umfang – zeigt sich auch bei der IHS, wobei auch hier einschränkend erwähnt werden muss, dass in etlichen Online-Artikeln über alle Abstimmungsvorlagen gleichzeitig berichtet wird und eine entsprechende Interpretation deshalb nur mit Zurückhaltung vorgenommen werden darf. Gut beobachten lässt sich hier auch die Unterstützung der SVP für die Heiratsstrafe. Die Ja-Parole wurde an der Delegiertenversammlung Ende Januar gefasst – just zu Beginn der Zunahme des Anteils an Nennungen der SVP im Zusammenhang mit der IHS.

Wer profitiert?
Unsere deskriptiven Analysen legen also nahe, dass eine Initiative durchaus als Triebfeder wirken kann – zumindest was die Nennungen im Zusammenhang mit einer eigenen Initiative anbelangen. Allerdings scheinen unterschiedliche Parteien – in unserem Beispiel sind es die SVP und die CVP – unterschiedlich von der Schubkraft zu profitieren. Die Beispiele vermögen aber auch aufzuzeigen, dass von der onlinemedial aufbereiteten direktdemokratischen Kampagne nicht nur jene Parteien profitieren, die ein Thema in die politische Arena tragen, sondern auch die Parteien, die mit eigenen Positionen für oder gegen ein Thema antreten. Direkte Demokratie belebt!


Abbildung 3: Die Online-Medienpräsenz der drei Volksinitiativen im Venn-Diagramm


Bemerkungen: Untersuchungszeitraum: 31.8.2015-25.2.2016; 82 Schweizer Online-Medien; Durchsetzungsinitiative (DSI): N = 4225 Artikel; Initiative gegen die Heiratsstrafe (IHS): N = 701 Artikel; Initiative gegen die Nahrungsmittel-Spekulation (INS): N = 1032 Artikel; Schnittflächen: Artikel mit Bezug zu mehr als einer Initiative.   


Kommt hinzu, dass die onlinemedial befeuerte Debatte auch zur Mobilisierung beitragen kann. Erste, in der Presse veröffentlichte Zahlen zur brieflichen Beteiligung in einzelnen Gemeinden lassen eine rekordhohe Beteiligung erwarten - ein durchaus positives Zeichen für die Lebendigkeit der direkten Demokratie in der Schweiz. Inwieweit sich die doch recht deutliche mediale Konzentration auf die DSI auf die Abstimmungsresultate bei den anderen drei Vorlagen auswirken wird (für den Vergleich der drei Initiativen vgl. Abbildung 3), dürfte spätestens am nächsten Sonntagabend wohl auch ein interessanter Punkt in den zu erwartenden politischen Debatten sein. Unsere Zahlen bestätigen dabei erste Analysen des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög; vgl. hier): Das fög zeigt in seinen Analysen von Printmedien eine sehr hohe Resonanz für die DSI. Rund die Hälfte der medialen Aufmerksamkeit sei der SVP-Initiative gewidmet, rund ein Viertel entfalle auf die Gotthard-Vorlage und die IHS und die Initiative der Juso teilten sich die verbleibenden 25%.
 
  Schweizer Politik in den Online-Medien
 
 
Besser spät als nie: Die Gegner der Durchsetzungsinitiative sind erwacht.
[thumbnail] Lange herrschte praktisch Funkstille. Nun kommt doch eine breite Kampagne gegen die SVP-Durchsetzungsinitiative zustande. Die Gegner hoffen, aber die Zeit bis zur Abstimmung ist knapp. Der Ausserrhoder FDP-Ständerat Andrea Caroni bezeichnet die Initiative als «kleinen Staatsstreich». Bild: KEYSTONELange herrschte praktisch Funkstille. Nun kommt doch eine breite Kampagne gegen die SVP-Durchsetzungsinitiative zustande. Die Gegner hoffen, aber die Zeit bis zur Abstimmung ist knapp.RedaktorDie Umfrage der SonntagsZeitung spricht eine klare Sprache: 55 Prozent wollen die Durchsetzungsinitiative der SVP annehmen, nur 24,5 Prozent sind dagegen. Die Aussichten sind auf den ersten Blick pechschwarz: Im Gegensatz zu «gewöhnlichen» Volksinitiativen nimmt bei ausländerkritischen Vorlagen der Ja-Anteil bis zur Abstimmung eher zu als ab. Trotzdem ist die Umfrage für die Gegner der Durchsetzungsinitiative ein Silberstreifen am Horizont....(Auf www.watson.ch lesen)
watson.ch, 29.12.2015
 
Durchsetzungsinitiative: Drei Sujets für ein Nein.
[thumbnail] Gleich drei Komitees setzen sich mit unterschiedlichen Kampagnen gegen die SVP-Initiative ein.
persoenlich.com, 11.01.2016
 
Gegner der Durchsetzungsinitiative warnen vor Willkürstaat.
[thumbnail] Die Gegner der Durchsetzungsinitiative der SVP haben ihre Argumente vorgelegt. Aus ihrer Sicht ist diese eines Rechtsstaats unwürdig. Sie verweisen auf bereits bestehendes Recht und befürchten Ausschaffungen auch bei Bagatelldelikten.
Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), 11.01.2016
 
CVP-Initiative: Darum bekämpfen Gegner das Aus der Heiratsstrafe.
[thumbnail] Die CVP will Ehepaare von der Heiratsstrafe befreien - der Widerstand ist jedoch gross. 20 Minuten beantwortet die wichtigsten Fragen zur Initiative.
20 Minuten (DE), 19.01.2016
 
Doppelte Premiere an SVP-Delegiertenversammlung.
[thumbnail] Die SVP-Delegiertenversammlung von (heute) Samstag in Wil SG ist eine doppelte Premiere. Guy Parmelin tritt erstmals als Bundesrat und Ueli Maurer erstmals als Finanzminister auf. Sie sprechen über eine "sichere Schweiz" und einen "gesunden Finanzhaushalt".
Aargauer Zeitung, 23.01.2016
 
Le «Non» à l'initiative UDC l'emporterait sur le «Oui».
[thumbnail] Selon le 2e sondage SSR, l’initiative «Pour le renvoi effectif des étrangers criminels» bascule dans le camp du «non». Les «oui» au 2e tube au Gothard et à la dépénalisation du mariage perdent du terrain.
Le Matin, 17.02.2016
 
Keine Einigkeit bei eidgenössischen Vorlagen.
[thumbnail]
Urner Wochenblatt, 21.02.2016
 
Bis zu 70 Prozent Stimmbeteiligung erwartet.
[thumbnail] Die Durchsetzungsinitiative mobilisiert stark. Einzelne Städte erwarten eine Stimmbeteiligung von bis zu 70 Prozent, wie eine Umfrage der Nachrichtenagentur sda ergab. Der Rekord von 79 Prozent bei der EWR-Abstimmung im Jahr 1992 dürfte aber unerreicht bleiben.
Appenzeller Zeitung, 25.02.2016
 
Am Sonntag winkt eine Rekord-Stimmbeteiligung von 70 Prozent – allerdings erreichte sie früher einmal 86 Prozent (!).
[thumbnail] RedaktorWegen der Durchsetzungsinitiative erwarten einzelne Städte eine Stimmbeteiligung von bis zu 70 Prozent. Als hohe Stimmbeteiligung gilt in der Schweiz ein Wert ab 50 Prozent. Dieser wurde in jüngerer Zeit bei stark polarisierenden Vorlagen erreicht und teilweise auch deutlich überschritten. Eine Übersicht, einschliesslich zweier Rekordwerte:Stimmbeteiligung: 58,26 ProzentResultat: Mit 74,6 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt Bild: KEYSTONEDurchsetzungs-Initiative: Hast Du schon abgestimmt? Stimmbeteiligung: 56,63 ProzentResultat: Mit 54,6 Prozent Ja-Stimmen angenommen Bild: KEYSTONEStimmbeteiligung: 56,57 ProzentResultat: Mit 50,3 Prozent Ja-Stimmen angenommen...(Auf www.watson.ch lesen)
watson.ch, 25.02.2016
 
Chronik-ON analysiert die Politikberichterstattung in den wichtigsten Schweizer Online-Medien. Untersucht werden die Präsenz von Politikerinnen und Politikern und ihren Parteien, die Konjunktur von Themen bei Wahlen und Abstimmungen sowie deren medial begleitete Aufnahme und Bewirtschaftung durch die Parteien.
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